Die Katze und die Zither

Musik nimmt seit je her einen wichtigen Platz in unserem Leben ein. Dabei ist es nicht unbedingt wichtig, welchem Instrument die Töne entlockt werden, welcher Art die Klänge sind und ob sie mit Gesang oder Tanz verbunden sind. Die Melodien können bis in das Innerste vordringen und Gefühle wie Glück, Freude und Sorgenlosigkeit hervorrufen. Auch vor vielen hunderten von Jahren schätzte man die Klänge, die ein geübter Spieler einem Instrument entlocken konnte. Musiker waren schon damals hoch geschätzte und gerne gesehene Leute, da sie vom schweren Los des Alltags ablenken konnten. Das sich Musik jedoch auch auf ihre Umgebung auswirken kann, ist eine verblüffende Tatsache, die heute leider beinahe vergessen ist.

Das Wunder der Musik

Vor langer Zeit wanderte ein alter Musiker in Begleitung einer Katze und einer Zither durch die Lande. In jedem Ort durch den sie kamen, legte der alte Mann auf dem Dorfplatz eine Matte aus, um seine geschundenen Glieder darauf zu betten. Die Katze, die das Musikinstrument für den Alten auf dem Rücken trug, legte sich dabei stets neben ihn nieder und wartete geduldig, bis er die Zither ergriff. Erst nachdem seine Finger an den filigranen Saiten gezupft hatten, zog das Tier sich zurück. Sobald der Musiker die ersten Töne einer Melodie angeschlagen hatte, strömten von überall die Menschen herbei, um den Klängen hingerissen zu lauschen.

Es spielte dabei keine Rolle das der Alte stets dasselbe Lied spielte. Aus unerklärlichen Gründen klang dieses nämlich für jede Person anders. So erkannte ein Handwerker im Gehörten vergleichsweise ein Liebeslied, dass ihn an seine längst verstorbene Frau erinnerte. Ein Müller erahnte hingegen ein Kinderlied, dass ihn an das Glück denken ließ, dass ihm täglich seine Kinder bescherten. Währenddessen wurde in einer Köchin die Abenteuerlust geweckt, als sie ein vertrautes Soldatenlied vernahm. Eines hatten aber all diese Menschen gemeinsam. Die Musik nahm ihnen die Sorgen und ließ pures Glück in ihrem Inneren zurück.

Auch die Katze fühlte ähnlich, wenn sie den Alten die Zither spielen hörte. Sie vergaß dann, wie schwer es war, das Instrument tagein tagaus zu tragen oder wie hart die Bedingungen der Reise manchmal waren. In diesen Momenten, wenn die Melodie erklang, war sie einfach nur froh ein Teil dieses Wunders zu sein. Erst wenn das Spiel zu Ende war, ging sie zurück zu ihrem Herrn, nahm die Zither wieder auf den Rücken und machte sich mit ihm gemeinsam auf den Weg zur nächsten Etappe. Eines Tages konnte die Katze der Musik plötzlich nicht mehr nur ruhig zuhören. Sie war vom Gehörten so sehr überwältig, dass sie aufsprang, sich auf die Hinterbeine stellte und zu tanzen begann. Die Menschen waren begeistert. Sie boten dem alten Mann viel Geld, damit er bei ihnen blieb und nur noch für sie spielte. Doch dieser lehnte ab und ging mit der Katze seiner Wege.

Das Ende einer Reise

Die Jahre zogen ins Land und wirkten sich auf die Gesundheit des Alten aus. Das Reisen fiel ihm zunehmend schwerer. Er benötigte immer längere Pausen und seine Finger zitterten nun so stark, dass er das Instrument kaum mehr ruhig halten konnte. Die Katze machte sich Sorgen um ihren Herrn und bemühte sich ihn dazu zu bewegen, sich zur Ruhe zu setzen. „Wo denkst du hin? Wir können doch die vielen Menschen nicht enttäuschen, die sich an meiner Musik und deinem Tanz erfreuen. Nein, nein. Bis zu meinem letzten Atemzug will ich für sie da sein. Das ist unsere Pflicht.“, widersetzte der Musiker sich und forderte außerdem, „Versprich mir, dass wenn ich gestorben bin, du alles daransetzt einen neuen Spieler zu finden, mit dem zusammen du den Menschen Freude bringst.“. Die Katze sagte zu und das ungleiche Paar zog weiter durch die Lande, bis der Alte die Zither zum letzten Mal erhob. Das Tier harrte bei dem Toten aus, bis man ihn in einem reich geschmückten Grab zur letzten Ruhe gebettet hatte. Danach setzte sie die Reise wie versprochen fort.

Ein unmögliches Vorhaben

Viele Wochen und Monate vergingen, in denen die Katze zahlreiche Dörfer und Städte auf ihrer Suche durchwanderte. Doch so sehr sie sich anstrengte, fand sie niemanden, der das Instrument spielen konnte. Unzählige namenhafte Musiker versuchten sich daran, doch scheiterten sie alle. Mit jedem Tag der verging, litt die Katze mehr unter der Tatsache, den letzten Willen ihres Herrn nicht erfüllen zu können. Doch auch, wenn die Hoffnungslosigkeit sie zu überwältigen drohte, gab sie nicht auf und zog weiter.

Eines Morgens hielt sie völlig erschöpft an einem breiten Fluss, um auszuruhen und ihr Leid zu klagen. Etwas entfernt sammelte ein Junge gerade Brennholz, als er die Rufe vernahm und Mitleid bekam. Er legte seine Arbeit nieder und machte sich stattdessen auf den Weg zur Katze. „Nanu, warum bist du denn so traurig, mein Freund? Dafür gibt es doch keinen Grund! Die Sonne lacht vom Himmel und du bist gesund. Dafür muss man doch froh und dankbar sein.“, meinte er und ließ sich neben dem Tier in das Gras fallen. Da erzählte ihm die Katze die ganze Geschichte. „Nun, vielleicht hast du bisher einfach an der falschen Stelle gesucht.“, gab er zu bedenken, „Womöglich ist es kein berühmter Spieler den die Zither benötigt, um ihr die Töne zu entlocken, die du von ihr hören willst. Was wäre, wenn es jemand ist, der bisher nur für sein eigenes Vergnügen gespielt hat und nicht vor Publikum?“ Sie dachte ausgiebig über die Worte nach und kam zu dem Schluss, dass das Kind durchaus recht haben könnte. Also hielt sie ihm die Zither hin und bat, er solle darauf spielen. „Bist du sicher? Ich habe nicht viel Erfahrung mit Instrumenten, aber ich will es versuchen.“, sprach der Junge und griff nach dem Instrument.

Ein folgenschwerer Überfall

Als er gerade die erste Saite zupfen wollte, tauchten mehrere Männer am Flussufer auf. „Was habt ihr denn da schönes? Mit so etwas lässt sich viel Geld verdienen. Also gebt es uns, ihr könnt sowieso nichts damit anfangen.“, verlangten sie. Ebenda traten ihnen die Katze in den Weg. „Oh, du willst also kämpfen, um dein Eigentum zu bewahren? Versuche es ruhig. Es wird nichts nützen.“, lachten sie, bevor einer der Männer das Tier packte und gegen einen Baum schlug. Der Junge indes umklammerte verzweifelt die Zither. Er kannte die Räuber. Sie waren in der ganzen Umgebung als brutal und erbarmungslos verschrien. Zweifellos wäre es daher besser, davonzulaufen und ihnen die Beute freiwillig zu überlassen.

Gerade als der Knabe diesen Entschluss fasste, fiel sein Blick auf die Katze. Mühselig versuchte diese aufzustehen und sich weiter zu wehren, bevor sie endgültig zusammenbrach. „Na, was ist? Wenn du dich ergibst, dann lassen wir dich unbehelligt gehen. Ansonsten wird es dir genauso ergehen wie deinem Freund.“, sprach der Anführer der Räuber. Als der Junge nicht antwortete, griff der Mann siegessicher nach dem Instrument. Doch der Knabe wehrte sich mit einem Mal. Es entstand eine Rangelei, in der die Zither zu Boden fiel und in tausend Stücke zerbrach. Entsetzt schrien die Männer auf. Aus Wut über den verlorenen Schatz packten sie die Katze und den Jungen und warfen sie in den Fluss, wo sie ihrer Vorstellung nach jämmerlich ertrinken würden.

Eine uneigennützige Tat

Doch die Räuber wussten nicht, dass der Junge schwimmen konnte und mussten daher machtlos mitansehen, wie er die Katze aus den Fluten zog und sicher an das andere Flussufer brachte. Mit letzter Kraft retteten sie sich von dort in das nahe gelegene Heimatdorf des Kindes, dessen Bewohner sie herzlich empfingen. Nachdem ihre Wunden versorgt waren, begann das Tier hilflos zu schluchzen. Da hatte der Junge einen Geistesblitz. Zwar konnte er der Katze ihr Eigentum nicht ersetzen, aber er konnte ihr vielleicht anders helfen. Er holte aus dem Haus der Eltern ein altes Holzstück und schnitzte solange daran, bis eine ziemlich grob gearbeitete Flöte daraus entstanden war. Deren Töne klangen zwar etwas wackelig, dennoch drangen sie tief in die Herzen der Menschen ein. Auch die Katze packten Gefühle, von denen sie nie gedacht hätte, sie je wieder spüren zu können. Trotz ihrer Verletzungen sprang sie auf, stellte sich auf die Hinterbeine und tanzte.

Wenig später machten sich der Junge und die Katze gemeinsam auf die Reise. Genau wie mit ihrem letzten Herrn, durchwanderte das Tier jahrein, jahraus unzählige Dörfer und Städte und erfüllte mit Musik und Tanz die Herzen der Menschen.

© K.ST.

© K.ST.

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