Teil 2
Was bisher geschah:
Ein junger Bäckersmann verliert sein Augenlicht, wodurch er seine Arbeit und alle darauffolgenden, verliert. Am Tiefpunkt angelangt, erhält er eine magischen Kerze, die, sobald er sie entzündet, sein Augenlicht wiederherstellt.
Voller Aufregung lief er damit direkt nach Hause, wo er alles nach Streichhölzern absuchte. Als er sie endlich gefunden hatte, entzündete er den Docht der Kerze mit zitternder Hand. Kaum hatte die Flamme ihn berührt, war das Augenlicht des Bäckersmannes augenblicklich wiederhergestellt. Sobald die Flamme jedoch versiegte, war er wieder mit Blindheit geschlagen. Voller Vorfreude auf den nächsten Tag, ging er zu Bett. Von nun an, würde alles besser werden, da war er sicher.
Die Vorteile der Kerze
Noch bevor die Sonne aufgegangen war, machte er sich auf den Weg zum Haus des Adeligen. Zuerst wollte man ihn dort nicht einlassen, doch als er versicherte, dass ihm von nun an keine Missgeschicke mehr passieren würde, stellte man ihn wieder ein. Zuversichtlich entzündete der junge Mann die Kerze, bevor er sich an die Arbeit machte. Und tatsächlich! Auch diesmal war die Blindheit einen Augenblick später wieder völlig verschwunden, als wäre sie nie dagewesen. Da er wieder richtig sehen konnte, schaffte er die Arbeit innerhalb kürzester Zeit, sodass der Herr des Hauses seinen Zorn vergaß und ihn fürstlich belohnte.
Freudenstrahlend zog der Bäcker weiter zu den Apfelplantagen. Nachdem man ihn erneut, wenngleich äußerst widerwillig aufgenommen hatte, steckte er den Docht der Kerze wieder in Brand und konnte auf diese Weise bis zum Ende des Tages mehr reife Früchte ernten, als jeder andere. Den Vorarbeiter freute diese Tatsache, weshalb er den Bäckersmann angemessen entlohnte. Mit einem Sack voller Geld, lief dieser direkt zur Backstube, wo er bei seinem Lehrmeister um die Hand von dessen Tochter anhielt. Der alte Bäcker war ihm zuerst wenig zugetan, als er jedoch vernahm, dass der junge Mann von seinem Leiden geheilt war, erlaubte er die Heirat und veranstaltete ein großes Fest zu Ehren des Paares.
Das Unheil nimmt seinen Lauf
In den nächsten Monaten schwebte der Bäcker wieder vor Glück. Er arbeitete härter als je zuvor, sodass der Bäckersladen schon bald zum Besten des Landes gekürt wurde. Zudem erwartete seine Frau ein Kind, weshalb es ihm unmöglich schien, sich in Sorgen zu ergehen. Doch mit der Zeit gab es etwas, das der jungen Mann nicht ignorieren konnte. Aufgrund seiner fortschreitenden Blindheit war es notwendig geworden, die Kerze jedes Mal ein wenig länger brennen zu lassen. Dies wiederum bedeutete, dass sie viel schneller schmolz, als er ursprünglich angenommen hatte. Was aber würde passieren, wenn sie aufgebraucht war?
Der Bäckersmann machte sich mittlerweile enorme Vorwürfe, dass er nicht darauf bestanden hatte, dass der Fremde ihm seinen Preis nannte. Er fürchtete aber das Schlimmste. Daher beschloss er, die Kerze nur noch im äußersten Notfall zu benutzen. Doch diese Entscheidung erschwerte ihm das Leben erheblich. Auch seiner Frau entging die Veränderung nicht. Eines Tages stellte sie ihn zur Rede und erfuhr von den fatalen Ereignissen rund um die Kerze.
»Lieber Mann, es ist ganz klar. Du hast einen Handel mit einem Dämon geschlossen. Sobald die Kerze heruntergebrannt ist, wirst du mit deiner Seele für ihre Dienste bezahlen.«, stellte sie nüchtern fest. Der junge Bäcker warf aus lauter Verzweiflung seine Hände in die Luft. »So wird es sein. Ach, wie dumm ich doch war. Niemals hätte ich die Kerze annehmen dürfen. Aber jetzt ist es zu spät.« »Vielleicht. Das heißt, wenn uns nicht noch eine List einfällt, um dich zu retten. Ich glaube, ich weiß auch schon, was wir tun müssen.«, sprach die Frau weise und erzählte dem Mann von ihrer Idee, die dieser begeistert annahm.
Der Spiegel und die Kerze
Gemeinsam leitete das Paar alles Notwendige in die Wege und wartete dann auf den Dämon. Dieser kam auch und war äußerst siegessicher. »Nun, die Kerze muss mittlerweile ausgebrannt sein. Das bedeutet, ich bekomme im Austausch nun deine Seele.«, frohlockte er und rieb sich erwartungsvoll die Hände. Doch der Bäckersmann lächelte nur ruhig und sprach: »Ich muss dich enttäuschen, noch ist sie nicht vergangen. Sieh selbst, wenn du mir nicht glaubst.« Er führte den Dämon in die Backstube, wo die Kerze, vor einem großen Spiegel aufgestellt worden war. Es schien, als wäre sie keinen Zentimeter geschrumpft. »Unmöglich, wie kann das sein? Sicher willst du mich betrügen!«, schrie der Dämon und stampfte vor Zorn mit dem Fuß auf.
Aber der junge Mann schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Alles hat seine Richtigkeit. Überzeug dich selbst, wenn du möchtest.« Argwöhnisch rührte sich der Dämon nicht von der Stelle. Er kam nicht einmal auf den Gedanken, die Kerze zu überprüfen, sondern schlug einen anderen Weg ein. »Wenn das so ist, kannst du mir sicher sagen, was ich hier in der Hand halte. Wenn nicht, weiß ich, dass es nicht meine Kerze ist die da brennt und du dein Augenlicht mittlerweile ganz verloren hast. Doch sei gewarnt, wenn ich merke, dass du mich belügst, bestrafe ich nicht nur dich, sondern jeden den zu kennst und liebst.« Der Bäcker lächelte immer noch geduldig und antwortete entgegenkommend: »Ist das dein Wunsch, so will ich ihn dir erfüllen. In deiner Hand hältst du eine meiner Kuchenformen.«
Erzürnt warf der Dämon die Form zur Seite, wo sie scheppernd auf dem Boden zu liegen kam. »Noch einmal. Was halte ich jetzt hoch?«, wollte er knurrend wissen. »Meinen roten Topf, mit dem ich Marmelade einzukochen pflege.«, entgegnete der Bäckersmann ruhig. Doch der Dämon gab nicht auf. »Aller guten Dinge sind drei. Beantwortest du auch diese Frage richtig, schwöre ich, dich nie mehr aufzusuchen. Also? Was habe ich hier?« Listig wie der Dämon war, hatte er sich den kleinsten Löffel ausgesucht, den es in der Backstube zu finden gab und der in seiner riesigen Hand fast zu verschwinden drohte. »Ein Geschenk für mein ungeborenes Kind. Einen kleinen Silberlöffel.«, antwortete sein Gegenüber ohne Probleme. Da begann der Dämon sich kreischend im Kreis zu drehen, bevor er sich in einer Staubwolke auflöste. Zurück blieb nur der selbstsichere Bäcker.
Die List
Nachdem der Dämon verschwunden war, betrat seine Frau die Backstube. »Es ist alles gut ausgegangen?«, fragte sie besorgt und nahm erleichtert das Lächeln ihres Mannes wahr. »Ja, der Spiegel hat ihn derart irritiert, dass er gar nicht auf die Idee gekommen ist, dass es sich bei der Kerze gar nicht um seine eigene handelt.«, beruhigte sie der Bäcker. »Und dass er einem Blinden all die Gegenstände gezeigt hat, ist ihm nicht gewahr geworden?«, wollte sie neugierig wissen. Ihr Mann schüttelte nur den Kopf. » Es war richtig, die Kerze nicht mehr zu benutzen. Nun bin ich zwar blind, aber in Sicherheit.«, meinte der Bäcker liebevoll, »Zwar hat es Wochen gedauert, mir einzuprägen, wo alles ist und liegt, aber so konnte ich mich in der Backstube bewegen, als wäre mein Augenlicht ungetrübt. Jetzt ist es vorbei. Der Dämon wird uns nie wieder belästigen.«
Und tatsächlich lebten der Bäckersmann und seine Frau weiter glücklich und zufrieden, bis es an der Zeit für sie war, diese Welt für immer zu verlassen. Seit dem Kampf um seine Seele, hatte der Mann auch nicht mehr mit seiner Blindheit gehadert. Denn er hatte gelernt, dass man auch mit dem Herzen sehen konnte und nicht nur mit den Augen.
© K.ST.
– Ende –