Fortsetzung: Das verliebte Maiglöckchen

Teil 2

Was bisher geschah:

Bereits zwei Mal wurde das verliebte Maiglöckchen von ihren Angebeteten enttäuscht. Weder der Löwenzahn noch der Regenwurm erwiderten seine Verliebtheit, was zu großer Enttäuschung führte. Wie das Maiglöckchen jetzt damit umgeht?


Der starke Baum und das Maiglöckchen

Doch ein weiteres Mal war sein Unglück nur von kurzer Dauer. Bereits einige Tage später erspähte das Maiglöckchen einen jungen Baum am anderen Ende der Lichtung. Beeindruckt von so viel Kraft und innerer Stärke, verliebte sich das Maiglöckchen erneut Hals über Kopf. »Was für eine wunderschöne Aussicht er doch von dort oben hat.«, dachte es voller Bewunderung, »Kein Wunder, dass er mich bisher noch nicht bemerkt hat. Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher. Aber wie es aussieht, muss ich dafür erst einmal größer werden.« Mit diesem Ziel vor Augen, sammelte das Maiglöckchen all seine Energien um ebenfalls zu wachsen. Jedoch war das Ergebnis ernüchternd. Egal wie viel Kraft es aufwandte, es wuchs höchstens um einige Millimeter an.

Trotzdem dachte das Maiglöckchen nicht daran aufzugeben und strengte sich weiterhin an, mit dem Ergebnis, dass seine Blätter immer dünnhäutiger wurden und der Stiehl sich gefährlich unter dem Gewicht der Blüten zu neigen begann. Als sich dann ein Gewitter über der Lichtung zusammenzubrauen begann, dass von starken Sturmböen begleitet wurde, kam das Maiglöckchen in arge Bedrängnis. Geschwächt durch den Wachstumsprozess klammerte es sich mit letzter Kraft an der Erde fest, um nicht vom Wind davongeweht zu werden.

Am Ende seiner Kräfte begrüßte das Maiglöckchen voller Erleichterung den nächsten Morgen. Beinahe sofort hielt es nach dem Geliebten Ausschau und wurde bitter enttäuscht. Denn dieser war verschwunden. An seiner Stelle befand sich nur noch ein verkohlter schwarzer Fleck, der davon zeugte, dass der Baum des Nachts von einem Blitzschlag getroffen und verbrannt war. Todtraurig wandte sich das Maiglöckchen ab und vergoss unzählige Tränen.

Verzweiflung ohne Ende?

Diesmal jedoch ließ die Trauer über den Verlust nicht nach. Aus Kummer begann das Maiglöckchen langsam zu welken, bis sein Zustand auch den anderen Maiglöckchen nicht mehr verborgen blieb. Aber obwohl sie sich jede erdenkliche Mühe gaben es aufzumuntern, änderte dies nichts an dessen Verzweiflung. »Es ist sehr nett von euch, das ihr versucht mir zu helfen. Jedoch hat das Leben nun keinen Sinn mehr für mich. Dreimal habe ich mich verliebt, dreimal wurde mir das Herz gebrochen. Für einen weiteren Versuch habe ich keine Kraft mehr. Lebt wohl.«, erklärte das Maiglöckchen eines Tages und wandte sich endgültig von den anderen ab.

Seine Kameraden wollten dies jedoch nicht einfach hinnehmen und riefen einen Uhu zur Hilfe, da diese Tiere im Wald als die Klügsten und Weisesten galten. Aufmerksam hörte sich der Uhu die Geschichte an, bevor er er das Maiglöckchen aufsuchte. Dieses war nur noch ein Schatten seiner selbst. Kraftlos und beinahe vollständig verwelkt lag es auf der Wiese, den Blick gen Himmel gerichtet. »Einen guten Tag, wünsche ich dir.«, sprach der Uhu und ließ sich neben dem Maiglöckchen auf die Erde sinken.

»Was ist daran schon gut?«, schluchzte sein Gegenüber. »Nun, was soll denn schlecht daran sein?«, wollte der Uhu im Gegenzug wissen. »Meine Liebsten haben mich verlassen, sodass ich nun völlig allein bin. Das höchste Gut, nämlich die Liebe habe ich zudem für immer verloren. Wie soll man damit nur weiterleben können? Daher werde ich verblühen und diese Welt für immer verlassen.« »So? Das ist ja interessant. Aber verzeih, wenn ich dir widerspreche. Du bist weder allein, noch hast du die Liebe verloren.«, klärte der Uhu das Maiglöckchen auf.

Entrüstet sprang dieses auf. »Unsinn! Sieh mich doch an! Ich sitze hier abseits von den anderen, was nur eins bedeuten kann, nämlich das ich alleine bin. Und die Liebe habe ich sehr wohl verloren. Wieso sonst bin ich derart unglücklich?« Der Uhu neigte den Kopf zur Seite. »Allein bist du, weil du es so gewollt hast. Du hättest auch bei denen Kameraden bleiben können. Sie haben dich nicht dazu gezwungen, dich abzuwenden.« »Das stimmt wohl, aber die Liebe habe ich trotzdem verloren.«, gab das Maiglöckchen widerwillig zu. »Was bringt dich nur auf einen so absurden Gedanken? Weil du dich seit einer Weile unglücklich fühlst? Das geht jedem so, der eine schwere Enttäuschung erlebt hat. Aber das heißt nicht, dass es dir deshalb unmöglich ist, wieder zu lieben. Hast du statt dich in deinem Selbstmitleid zu suhlen, vielleicht einmal darüber nachgedacht, warum du drei bittere Enttäuschungen erfahren hast?«

Die verliebten Maiglöckchen

Nachdenklich starrte das Maiglöckchen eine Weile schweigend vor sich hin. »Ich weiß es nicht. Dabei habe ich mir doch solche Mühe gegeben, meinen Liebsten zu gefallen. Sogar wie sie wollte ich dabei werden. Gelohnt hat es sich allerdings nicht.« »Das konnte es sich nicht. Denn in der Liebe geht es nicht darum, den anderen aus der Ferne anzuschmachten oder sich ihm anzugleichen und derart zu verändern, nur um so zu sein wie er. Lieben heißt, man selbst zu sein, den anderen kennen zu lernen und Geborgenheit zu spenden. Verstehst du?«, erklärte der Uhu geduldig.

Und das tat das Maiglöckchen. Die Worte des Anderen hatten ihm seine vergangenen Fehler aufgezeigt und verständlich gemacht, dass es Liebe bisher nur als etwas Oberflächliches verstanden hatte und nicht als das tiefgreifende Gefühl, dass es eigentlich war. »Es ist noch nicht zu spät für dich. Sieh nur dort drüben steht ein Maiglöckchen. Es würde dich nur zu gerne lieben.«, sprach der Uhu und flog davon.

Verwundert über das jähe Ende ihrer Unterredung, starrte das Maiglöckchen ihm hinterher, bis er verschwunden war. Dann beschloss es, seinen Rat zu befolgen und das andere Maiglöckchen anzusprechen. Schon nach wenigen Minuten war es erneut um es geschehen, wenngleich es diesmal anders war, als zuvor. Diesmal fand das Maiglöckchen einen ebenbürtigen Partner, der es so liebte, wie es war. Erfüllt von wahrer Liebe legte das Maiglöckchen seine Trauer endgültig ab und fand sein Glück.

© K.ST.

– Ende –

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