Die Quelle

Teil 1

Quellen haben schon etwas Geheimnisvolles an sich. Was vor allem daran liegt, dass ihr Wasser Jahrhunderte benötigt, um sich mühsam seinen Weg aus den Tiefen des Erdinneren zu erkämpfen, nur um letztendlich an völlig unwirklichen Orten aus dem Boden zu treten. Gerade dieses Wasser ist jedoch ganz besonders in seiner Art. Neben den unzähligen Mineralstoffen die es mit sich führt, genießt es großes Ansehen, da mit ihm die Heilung unzähliger Gebrechen aller Art möglich ist. Nicht verwunderlich also, dass diese sogenannten “Heilquellen” sich einer großen Nachfrage erfreuen, wie auch diese Geschichte zeigen wird.

Ein trostloser Ort

Vor vielen tausend Jahren lag tief in den Bergen ein kleines Dorf versteckt, in welchem die Stimmung äußerst getrübt war. Grund dafür war, dass es sehr einsam gelegen und nur schwer zu erreichen war, da es kaum Straßen gab, die dorthin oder von dort wegführten. Die letzten Kilometer zum Dorf musste man dann auch noch eine steile, in den Berg gehauene, Treppe bewältigen, worauf die meisten Menschen nur allzu gerne verzichteten. Oft vergingen daher Wochen oder gar Monate, bis sich jemand von Außerhalb in das kleine Dorf verirrte. Die Dorfbewohner belastete dieser Umstand sehr, wünschten sie sich doch nichts sehnlicher als Kontakt zur Außenwelt.

Doch alle Versuche eine Straßen auf eigene Faust zu bauen und die Treppe begehbar zu machen, waren zum Scheitern verdammt. Der Dorfälteste wandte sich deshalb hilfesuchend an den Landesherren, dem das Dorf unterstand und bat um Unterstützung. Doch der hohe Herr sah nicht ein, wieso er für ein kleines, unbedeutendes Dorf Arbeitskraft und Geld zur Verfügung stellen sollte. »Solange es dort nichts gibt, dass für die Gemeinschaft von Nutzen ist, bleibt Euch meine Hilfe versagt. Ändert sich dies, bin ich gerne bereit meine Meinung zu ändern.«, ließ er dem Dorfältesten ausrichten, der letztendlich unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren musste. Natürlich war die Forderung schlichtweg unmöglich zu erfüllen. Denn im Dorf gab es nichts, dass von solcher Besonderheit gewesen wäre, dass es für alle Einwohner des Landes wichtig gewesen wäre. So blieb den Dorfbewohnern nichts Anderes übrig, als sich schweren Herzens mit ihrem Schicksal abzufinden.

Die göttliche Quelle

Mit der Zeit färbte die Trauer und Mutlosigkeit der Dorfbewohner auf die Landschaft ab, was eine Göttin auf das kleine Dorf in den Bergen aufmerksam werden ließ. Das Leid der Menschen berührten sie derart, dass sich eine Träne aus den Winkeln ihrer Augen löste und auf die Erde fiel. Augenblicklich entstand an dem Ort, an dem die salzige Flüssigkeit den Boden berührte, eine prächtige Quelle, die von den Dorfbewohner neugierig in Augenschein genommen wurde.

»Wie schön. Damit können wir das Vieh tränken.«, freute sich einer der Bauern. »Auf keinen Fall, wir benutzen sie schön für uns selbst. Dann ist endlich Schluss damit, dass Wasser kilometerweit zum Kochen in unsere Häuser zu schleppen.«, rief eine Frau ungehalten. »Genau! Endlich können wir unsere Wäsche ordentlich waschen, sodass sie in jedem Fall sauber wird.«, stimmte eine andere ihr zu. »Unsinn. Es ist viel wichtiger, mit dem Wasser unsere Felder zu bewirtschaften. Auf diese Weise könnten wir mehr anbauen und hätten im Winter reichlicher zu essen.«, unterbrach ein Landwirt die Diskussion. Der Dorfpriester war jedoch über dies bloße Vorstellung einer Entweihung der Quelle entsetzt: »Wie könnt ihr es wagen? Hier handelt es sich eindeutig um ein göttliches Geschenk, das geehrt werden muss. Niemand nähert sich der Quelle. Sie ist heilig.«

So brach Streit zwischen den Anwesenden aus, in welchem jeder auf die Durchsetzung seiner eigenen Interessen pochte, was eine gemeinsame Lösung unmöglich zu machen schien. Einzig eine alte Frau ließ sich davon nicht beirren und trat näher an die Quelle heran, um vorsichtig ihre Hand in das Wasser zu tauchen. »Das Wasser ist ganz warm! Oh, wie wunderbar. Man hat uns eine Heilquelle geschenkt! Endlich gibt es eine Möglichkeit, unsere schmerzenden Glieder nach einem langen Arbeitstag auszuruhen.«, rief sie aufgeregt und setzte sich sogleich in die heiße Quelle. Aufgeregt folgten ihr die übrigen Dorfbewohner und erkannten wenig später auch, wie gut ihnen das Wasser tat.

Der Ausbau der Quelle

Die Wochen vergingen, in denen die Dorfbewohner regelmäßig in ihrer Quelle badeten. Nach und nach heilte das Wasser alle ihre Leiden, weshalb sie den Badeort mit höchstem Respekt behandelten. Auch Fremden wurde ihre Besonderheit nicht vorenthalten. Sobald sich ein Reisender in das Dorf verirrte, brachten sie ihn zur Quelle, damit er sich dort von den Strapazen der Reise und den damit einhergehenden Verletzungen und Wehleiden erholen konnte. Begeistert trugen diese anschließend ihre Erfahrungen mit dem Heilwasser in das ganze Land hinaus, weshalb mit der Zeit immer mehr Menschen in das kleine Dorf in den Bergen strömten, obwohl sich der beschwerliche Weg dahin nicht geändert hatte.

Glücklich, nun endlich doch Anschluss an die Welt gefunden zu haben, begannen die Dorfbewohner einfache Unterkünfte für die Besucher zu bauen. Als Gegenleistung für den Aufenthalt verlangten sie nichts. Zu froh waren sie über den Umstand, dass durch die Reisenden endlich die schreckliche Einsamkeit beendet worden war.

Die Gier des Einzelnen

Auch der Landesherr erfuhr nach einer Weile von der Quelle und beschloss, das Wunder mit eigenen Augen sehen zu wollen. Als er erkannte, welche Möglichkeiten das Wasser bot, ließ er die Dorfbewohner zusammenrufen. Erfreut folgten diese dem Ruf, im Glauben, dass er sein Wort endlich wahr machen und ihnen helfen würde, sodass in Zukunft noch mehr Menschen in den Genuss des Wassers kommen würden.

»Als Euer Herr fordere ich mein Recht. Die Quelle ist ab jetzt mein Eigentum. Niemand darf sich ihr mehr nähern, ohne Tribut dafür zu zahlen. Das gilt auch für Euch, für jeden Mann und jede Frau in diesem Dorf. Als meine Lehnsleute habt Ihr meinen Befehlen Folge zu leisten.«, erklärte er stattdessen feierlich, was den Unmut der Dorfbewohnern zur Folge hatte. Doch hatten sie letztendlich keine andere Wahl, als sich zu fügen. Der Adelige ließ seinen Worten direkt Taten folgen. Und schon bald, durften nur noch die, die es sich leisten konnten, im heilenden Wasser baden. Darunter litten letztendlich nicht nur die Dorfbewohner, sondern auch alle anderen, die nicht genug Geld hatten, um sich die Linderung ihrer Gebrechen zu erkaufen.

© K.ST.

– Fortsetzung folgt –

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