Teil 1
Unsere Laune ist unser ständiger Begleiter, hat daher enormen Einfluss auf unser Wohlbefinden und Verhalten. Gelingt ein Vorhaben, sind wir freundlich und zugängig. Klappt etwas nicht, befällt uns Ärger und Wut. Aus dieser Polemik ergibt sich fast zwangsläufig, dass unsere Laune mehrmals täglich unzählige Male wechselt. Um uns zu erleichtern, tragen wir sie nur zu gern aus unserem Inneren nach außen und damit zu unserem direkten Umfeld. Lässt man an seinen Mitmenschen jedoch ohne Unterlass seine Launen aus, führt dies beinahe immer zu schwerwiegenden Folgen, unter denen letztendlich alle zu leiden haben. Auch eine kleine Blaumeise hat mit ihrer Launenhaftigkeit und den damit verbundenen Konsequenzen zu kämpfen.
Ein launenhafter Zeitgenosse namens Blaumeise
In einem Wald, lange vor der Zeit der Menschen, lebte eine kleine Blaumeise einsam und alleine, abseits ihrer Artgenossen und anderer Tiere. Der Grund dafür lag in ihrer Launenhaftigkeit, die sie derart beherrschte und die sie stets ungefiltert an ihrer Umgebung ausließ, weshalb niemand gerne für längere Zeit in ihre Nähe verblieb. Der Blaumeise war der Grund für die Ausgrenzung jedoch als Einziger überhaupt nicht bewusst. Statt die Schuld bei sich selbst zu suchen, wurde sie mit der Zeit immer zorniger auf die anderen Waldbewohner, bis sie eines Tages beschloss, ihnen ihre Gesellschaft aufzuzwingen, damit sie nicht länger allein war. Denn auch wenn die Blaumeise es nicht gern zugab, litt sie doch enorm unter der Einsamkeit. Eines schönen Morgens packte sie daher ihr ganzes Hab und Gut zusammen und machte sich auf den Weg.
Die Begegnung mit dem Pfau
Die Blaumeise war noch nicht weit gekommen, als sie einem Pfau begegnete, der seine Federn auf einer satten grünen Wiese in der Sonne ausgebreitet hatte. »Was machst du da?«, fragte der Vogel neugierig, als er näher herangetreten war. »Ich bade in der Sonne. Das tut mir gut und macht meine Federn umso schöner, wie ich finde.«, erklärte dieser und spreizte sein Gefieder, sodass die Blaumeise dessen ganze Pracht bewundern konnte. »Wie wunderschön. Sag, würdest du mir eine deiner Federn geben? Wenn ich sie mir ins Gefieder hänge, falle ich sicher derart auf, dass alle Tiere des Waldes mit mir befreundet sein wollen.«, bat der kleine Vogel aus einer Laune heraus. Der Pfau dachte kurz über as Für und Wieder nach, stimmte dann aber gutmütig zu und zupfte eine Feder aus seinem Gefieder.
»Oh bitte, gib mir doch eine andere. Diese ist derart zerzaust, dass ich damit wenig Eindruck machen werde.«, verlangte die Blaumeise, kaum dass sie die Gabe erhalten hatte. Wie befohlen, zückte der Pfau eine neue Feder. »Nicht diese! An der befindet sich ein hässlicher schwarzer Fleck.«, klagte die Blaumeise jedoch abermals unzufrieden. Seufzend zupfte der Pfau eine weitere Feder aus seinem Gewand. Doch wieder war der Vogel unzufrieden. »Nein, die ist doch viel zu groß für mich. Gib mir lieber eine andere.« So kam es, dass der Pfau immer neue Federn aus seinem Gefieder riss, bis große kahle Stellen sich darin breitmachten. Aber selbst dann war die Blaumeise noch nicht glücklich. Erst als der Pfau nur noch eine einzige Feder am Leib trug, nahm sie von ihrem Vorhaben Abstand.
»Ich sehe schon, das wird nichts mehr. Betrachtet man deine Federn in ihrer Gesamtheit, sind sie durchaus prachtvoll und schön anzusehen. Einzeln, sind sie jedoch alle mit einem Makel versehen. Mit so etwas will ich mich nicht belasten. Hab Dank für gar nichts.«, meinte der kleine Vogel verärgert, ohne einen Funken Empathie und flog davon. Zurück blieb ein überaus niedergeschlagener Pfau.
Die Blaumeise und die Biber
Schnell ließ die Blaumeise die Wiese hinter sich zurück und gelangte an einen Fluss, dem sie mehrere Kilometer weit folgte, bis sie auf einen Biberdamm stieß. Davor hatten sich mehrere Biber versammelt, die in eine lebhafte Unterhaltung verstrickt schienen. »Brüder und Schwester, heute Abend ist es endlich soweit.«, erhob der größte und dickste Biber seine Stimme über die Artgenossen. »Was denn?«, unterbrach ihn die Blaumeise rüpelhaft, die neugierig näher gekommen war. »Morgen habe ich Geburtstag und den wollen wir mit einem Festessen feiern. Dafür haben wir all die seltenen Früchte dort drüben gesammelt.«, erklärte der Biber bereitwillig und deutete auf einen Berg Obst in seiner Nähe, der herrlich frisch und saftig aussah. Die Blaumeise legte nachdenklich den Kopf schief. »Das sieht großartig aus. Lasst mich mitessen!«, bat sie nach einer Weile kurz entschlossen.
»Nun, es ist zwar eigentlich nicht üblich, Fremde zu einem unserer Feste einzuladen, aber für dich wollen wir eine Ausnahme machen. Sei heute bei Sonnenuntergang wieder an dieser Stelle, dann darfst du mit uns feiern. Doch verspäte dich nicht! Die Früchte sind überreif und vertragen es nicht, dass man sie noch länger liegen lässt.«, erklärte der Biber großherzig und die Blaumeise schlug ein. Um sich die Zeit zu vertreiben, erkundete sie die Umgebung und stieß dabei auf einen kleinen Teich, an dem es ihr so gut gefiel, dass sie letztendlich jede Lust verlor, der Einladung der Bibern Folge zu leisten. Als sie sich am nächsten Morgen gähnend erhob, entdeckte sie zwei Biber auf der anderen Seite des Teichs. »Du! Wo warst du gestern? Wir haben stundenlang auf dich gewartet. Dadurch ist das Obst verdorben, weshalb wir unser Festmahl absagen mussten.«, wollte eines der Tiere wütend wissen.
»Ach, mir war so heiß, da hatte ich keine Lust den Teich zu verlassen und zu euch zu kommen. Ist doch nicht so schlimm.«, winkte die Blaumeise uneinsichtig ab. »Nicht so schlimm? Wir feiern den Geburtstag unseres Anführers nur einmal im Jahr! Du und deine Launenhaftigkeit haben alles kaputt gemacht.«, schrie der andere Biber voller Zorn. »Na und? Außerdem hättet ihr ja nicht warten müssen. Ihr seid selbst schuld an eurem Unglück.«, beschied die Blaumeise abschließend und packte ihre Sachen. Bevor die Biber etwas darauf erwidern konnten, hatte sie sich schon in die Luft erhoben und war davongeflogen.
© K.ST.
– Fortsetzung folgt –
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